Flüchtlinge und Vertriebene in Harsewinkel und Umgebung von 1945-1949
von Marie Bühlmeyer
Viele Menschen verloren während und nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat, weil sie fliehen mussten oder ausgewiesen wurden. Meist führte ihr Weg in die britische Besatzungszone im Westen Deutschlands. Hier hofften die Flüchtlinge und Vertriebenen, eine neue Heimat zu finden.
Anstieg der Bevölkerungszahl
Auch nach Harsewinkel kamen von Ende März 1946 bis 1952 etwa 1.200 Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten Deutschlands, davon über 1.000 bis zum Ende des Jahres 1946. Die meisten stammten aus Schlesien, eine große Gruppe aus dem Dorf Groß Wilkau (heute: Wilków Wielki) im Kreis Reichenbach (heute: Dzierzoniów). Durch die Flüchtlinge und Vertriebenen und zuvor die Evakuierten aus vom Bombenkrieg zerstörten Städten vergrößerte sich die Bevölkerungszahl zwischen 1939 und 1950 um fast 40%, was für die agrarisch geprägten Gemeinden Harsewinkel, Greffen und Marienfeld eine große Belastung darstellte, die einige Komplikationen mit sich brachte.
Jahr | Harsewinkel | Greffen | Marienfeld | Amt | in % / 1939 = 100 |
1939 | 3.813 | 1.326 | 1.212 | 6.351 | 100,0 |
1945 | 7.695 | 121.2 | |||
1946 | 4.956 | 1.655 | 1.778 | 8.389 | 132,1 |
1948 | 5.018 | 1.753 | 1.803 | 8.574 | 135,0 |
1950 | 5.183 | 1.774 | 1.795 | 8.752 | 137,8 |
Quelle: Eckhard Möller: Vom Kriegsende zur kommunalen Neugliederung. In "....dann machen wir es allein." Beiträge zur Geschichte der Stadt Harsewinkel.
Harsewinkel 1996, S. 434
Unterstützung für die Vertriebenen und Flüchtlinge
Zu Beginn mussten die Flüchtlinge mit den wichtigsten Dingen des alltäglichen Lebens ausgestattet werden, wie zum Beispiel Kleidung und so elementaren Dingen wie Tellern, Löffeln und Gabeln. Um dieses zu gewährleisten, wurden Haus- und Straßensammlungen durchgeführt, die vorher angekündigt wurden.
{aridoc engine="pdfjs" width="80%" height="400"}images/medien/buehlmeyer/Aufruf_Sammlung.pdf{/aridoc}
Mitteilung und Bekanntmachung der Sammlung zugunsten von Flüchtlingen vom 7. Dezember 1946 – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 358,
Band 1
Bei diesen Sammlungen wurde genau dokumentiert, wer wie viel gespendet hatl.
{aridoc engine="pdfjs" width="80%" height="400"}images/medien/buehlmeyer/Ergebnis_Haussammlung.pdf{/aridoc}
Aufstellung des Ergebnisses der Haussammlung vom 14. und 15. Dezember zugunsten von Flüchtlingen – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 358,
Band 1
In 39 Bezirken zogen Harsewinklerinnen von Haus zu Haus, um vor Weihnachten eine Spende für die Flüchtlinge zu erbitten.
Ebenfalls wurden die verschiedenen Ergebnisse, bezogen auf die drei Gemeinden des Amtes Harsewinkel, zusammengefasst.
Diese Sammlung wurde durch die Amtsverwaltung Harsewinkel durchgeführt. Darüber hinaus wurden auch Sammlungen durch die katholische Wohlfahrtsorganisation Caritas durchgeführt.
{aridoc engine="pdfjs" width="80%" height="400"}images/medien/buehlmeyer/Caritassammlung.pdf{/aridoc}
Zuteilung aus der Caritassammlung der Pfarre Marienfeld, Mai / Juni 1946 Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 358,
Band 1
Nicht nur die Amtsverwaltung kümmerte sich darum, die Vertriebenen mit den lebensnotwendigen Gegenständen zu versorgen. Auch die Caritas führte in den katholischen Gemeinden Sammlungen durch und verteilte ihr überlassene Kleidung und Einrichtungsgegenstände an die Vertriebenen.
Bei beiden Spendensammlungen zeigte sich eine große Bereitschaft der Unternehmen und der privaten Haushalte zu spenden. Manchmal wurden zwar nur geringe Mengen gespendet, denn auch den Harsewinklern ging es in der Nachkriegszeit nicht gut, wenn der Mann zum Beispiel im Krieg gefallen war und die verwitwete Mutter für sich und ihre Kinder aufkommen musste. Die weitere Ausstattung der Flüchtlinge fand durch Einkäufe bei ortsansässigen Unternehmen statt, deren Rechnungen durch die Amtsverwaltung Harsewinkel beglichen wurden.
{aridoc engine="pdfjs" width="80%" height="400"}images/medien/buehlmeyer/Rechnung_Goecking.pdf{/aridoc}
Rechnung der Eisenwarenhandlung Aloys Göcking für von der Amtsverwaltung Harsewinkel gekaufte Haushaltswaren vom 5. April 1946 – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 358,
Band 1
Durch diese Mittel und Unterstützungen wurden die Flüchtlinge mit den existenziellen Dingen zur Alltagsbewältigung ausgestattet. Trotzdem standen die Gegenstände nur begrenzt zur Verfügung, wodurch genau dokumentiert und bemessen wurde, welche Familie wie viel erhielt.
{aridoc engine="pdfjs" width="80%" height="400"}images/medien/buehlmeyer/Liste_Gegenstaende.pdf{/aridoc}
Liste von an Vertriebene und Flüchtlinge verteilten Gegenständen, undatiert (Frühjahr 1946) – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 358,
Band 1
Nach dien Sammlungen wurde erneut Bestand geführt, um festzuhalten, wie viele Gegenstände noch vorhanden sind, und was man gegebenenfalls nachbestellen musste.
{aridoc engine="pdfjs" width="80%" height="400"}images/medien/buehlmeyer/Gegenstaende.pdf{/aridoc}
Aufstellung der Amtsverwaltung Harsewinkel über noch vorhandene Gebrauchsgüter für Flüchtlinge und Vertriebene vom 21. Mai 1946 – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 358,
Band 1
Nicht immer reichten diese Mittel aus und die Flüchtlinge und Vertriebenen waren auf mehr Geld angewiesen, als sie bekommen haben. Daher wurden vereinzelt auch Anträge an die Amtsverwaltung Harsewinkel verfasst, um eine einmalige Geldzahlung zu erhalten.
{aridoc engine="pdfjs" width="80%" height="400"}images/medien/buehlmeyer/antrag_bauer_komplett.pdf{/aridoc}
Antrag von Wally Bauer zur Gewährung einer finanziellen Beihilfe vom 15. August 1946 – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 358,
Band 1
Katholisch - Evangelisch
Allerdings ging es bei der Integration der Flüchtlinge nicht nur um materielle Dinge. Um eine vollständige Integration zu gewährleisten, musste auch das gesellschaftliche Miteinander funktionieren und das stellte häufig ein Problem dar.
Zum einen war es die Konfrontation mit etwas Fremdem und gleichzeitig Neuem, was, bedingt durch den gerade beendeten Krieg, zu einem gänzlich ungünstigen Zeitpunkt geschah, weil die Situation der Einheimischen auch nicht zufriedenstellend war, was die Angst vor einem weiteren sozialen Abstieg weiter schürte.
Zum anderen war Harsewinkel eine sehr katholisch geprägte Kleinstadt, in der Protestanten nur eine Minderheit waren. Hierdurch bedingt wurden die meist evangelischen Schlesier nicht akzeptiert, weil der Katholizismus als der einzig wahre Glauben angesehen wurde. Es bestand zwar die Möglichkeit zu konvertieren, aber den eigenen Glauben aus der Heimat aufzugeben, kam zunächst für wenige Neubürger infrage. Wenn die Menschen allerdings konvertierten, war es meistens so, dass sie ab diesem Zeitpunkt als vollständiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt wurden. Durch den Zuwachs an Protestanten wurde 1953/1954 die Martin-Luther-Kirche in Harsewinkel gebaut.
Martin-Luther-Kirche, ca. 1955. Foto: Stadtarchiv Harsewinkel
Am 4. Juli 1954 wurde die nach Plänen des Architekten Heinrich Lotte (Werther) errichtete Martin-Luther-Kirche eingeweiht. Sie lag in einer neuen Wohnsiedlung, in der auch viele Flüchtlinge und Vertriebene eine dauerhafte Bleibe fanden. Mit dem Kirchbau setzten die aus Schlesien kommenden evangelischen Christen ein Zeichen, dass sie dauerhaft in Harsewinkel bleiben würden. |
Bischof Otto Zänker vor der Martin-Luther-Kirche, 4. Juli 1954. Foto: Stadtarchiv Harsewinkel |
Die Spannungen zwischen den Katholiken und den Protestanten zog sich über mehrere Jahre, was die Integration deutlich erschwerte und bis heute noch in den Köpfen der damaligen Flüchtlinge präsent ist.
So berichtete es auch Elfriede Amsbeck, die am 7. August 1946 aus ihrem Heimatdorf ausgewiesen wurde und über Rheda nach Harsewinkel kam.
{aridoc engine="pdfjs" width="80%" height="400"}images/medien/buehlmeyer/amsbeck_meldeschein.pdf{/aridoc}
Flüchtlingsmeldeschein für Elfriede Überschär. - Quelle: Privatbesitz
Im August 1946 erreichte Elfriede Amsbeck im Lager Mariental bei Helmstedt bei Britische Zone und wurde dem Kreis Wiedenbrück zugewiesen.
Siedlungshaus der Familie Josef und Elfriede Amsbeck an der Eichendorffstraße, ca. 1958 - Foto: Privatbesitz
Download der Projektarbeit