Zwangsarbeit in Industrie und Landwirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus
von Nina Brinzing und Mira Schlüter
Zwischen 1939 und 1945 wurden Soldaten aus ganz Deutschland für den Zweiten Weltkrieg rekrutiert, so dass es vor allem an Arbeitskräften in der Industrie und in der Landwirtschaft mangelte. Um die landwirtschaftliche und industrielle Produktion aufrecht zu erhalten und so die Versorgung an der Front und in den Heimatregionen zu sichern, wurden Kriegsgefangene und zivile Arbeitskräfte aus dem Ausland herangezogen. Zu Beginn geschah die Anwerbung auf freiwilliger Basis. Da jedoch nicht ausreichend Arbeitskräfte nach Deutschland kamen, erfolgte schließlich deren Zwangsrekrutierung.
Zwischen 1940 und 1945 arbeiteten in der Kleinstadt Harsewinkel knapp 800 zivile Zwangsarbeiter. Diese hatten kein Mitspracherecht ihres Einsatzortes, ihrer Tätigkeit oder ihrer Unterkunft. In Harsewinkel wurden sie auf 92 Landwirte und 14 gewerbliche Betriebe aufgeteilt. Dabei wurden deutlich mehr Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt.
Herkunft der Zwangsarbeiter in Harsewinkel zwischen 1939 und 1945 in Prozentangaben - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Datenbank Zwangsarbeiter
Die Ausländer in Harsewinkel kamen vor allem aus Ost- und Mitteleuopa, aber auch aus den Niederlanden. Zu den zivilen Zwangsarbeitern kamen noch mindestens 600 Kriegsgefangene hinzu.
Arbeitseinsatz bei der Firma Claas
Auch bei der 1913 gegründeten Firma ”Gebrüder CLAAS” wurden ab 1941 Kriegsgefangene eingesetzt. Um die ausreichende Ernährung der deutschen Bevölkerung zu gewährleisten, wurde zunächst dazu die Produktion landwirtschaftlicher Maschinen fortgeführt. Erst ab 1943 begann mit der Herstellung von Granatenhülsen die Rüstungsproduktion.
Bei der ”Gebrüder CLAAS” arbeiteten vor allem Kriegefangene aus der UdSSR, von Ende 1941 bis Anfang 1942 auch zivile Arbeitskräfte aus dem besetzten Jugoslawien, unter denen auch einige Deutschstämmige waren. Vom Herbst 1943 kamen noch rund 100 italienische Kriegsgefanene bzw. Militärinternierte hinzu.
Jugoslawische Zwangsabeiter bei der Firma Claas 1941 / 1942. - Quelle: 1000 Jahre Harsewinkel. Zur Heimatgeschichte der Stadt an der Ems. Im Auftrage der Stadt Harsewinkel hrsg. von Walter Werland. Münster 1964, S. 474
Sowjetische Kriegsgefangene bei der Firma Claas während der Essenausgabe. - Quelle: 1000 Jahre Harsewinkel. Zur Heimatgeschichte der Stadt an der Ems. Im Auftrage der Stadt Harsewinkel hrsg. von Walter Werland. Münster 1964, S. 474
Die Arbeiter erhielten eine zweiwöchige Ausbildung, bei der ihnen die wichtigsten Arbeitsschritte vermittelt wurden. Zeitzeugen berichten von einem sehr strengen Verhältnis zu den deutschen Vorgesetzten. Die Firma “Gebrüder CLAAS” ließ für die sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Firmengelände eine eigene Unterkunftsbaracke errichten, in der Platz für 400 Personen vorgesehen war.
Lageplan für eine Baracke zur Unterbringung sowjetischer Kriegsgefangener bei der Firma Claas, Juli 1941. - Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C515
Kartenausschnitt rechts: © OpenStreetMap contributors
Bauzeichnung für eine Baracke zur Unterbringung sowjetischer Kriegsgefangener bei der Firma Claas, Juli 1941. - Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C515
Aus Bauplänen und Zeitzeugeninterviews wird deutlich, dass die in solchen Baracken untergebrachten Zwangsarbeiter unter inhumanen Umständen lebten. Weitere erschwerende Faktoren waren die lange Arbeitszeit und die mangelhafte Verpflegung.
Kriegsgefangener unbekannter Nationalität bei der Essensausgabe. - Foto: Privat
Arbeitseinsatz in der Landwirschaft
In der Landwirtschaft waren oft ganze Familien auf einem Bauernhof im Einsatz, wie zum Beispiel die Familie S.. Zunächst kam 1940 der 1904 geborene Josef S. nach Harsewinkel, der auf dem Bauernhof Krewerth und ab 1943 auf der Hofstelle B. Brüggemann in Greffen arbeitete. Im Dezember 1940 stellte er ein Urlaubsgesuch, um seine kranke Frau zu besuchen. Der Antrag wurde von dem Landwirt befürwortet. Dieses Verhalten ist nicht selbstverständlich, sondern eher als eine positive Ausnahme zu bewerten.
Urlaubsgesuch des polnischen Zwangsarbeiters Josef S. vom 4. Dezember 1940. - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 143, Band 2
Ihm folgte ein Jahr später Stefania S., die zunächst ebenfalls auf einem Greffener Bauernhof arbeitete und dann zu einer Stelle im Stadtkern von Harsewinkel wechselte. Im Februar 1942 kam dann Maria S. zusammen mit ihrem fünfjährigen Sohn Aloysius nach Greffen, wo sie ebenfalls bis zu ihrem Wegzug am Jahresende auf der Hofstelle Krewerth arbeitete.
Im Sommer schließlich kamen die Frau und die Kinder von Josef S. nach Greffen. Ehefrau Antonia arbeitete ebenfalls auf der Hofstelle Brüggemann, wo auch die siebenjährige Tochter Josefa lebte. Der 14-jährige Sohn Jan S. wurde dem Bauern Wesselmann als Arbeitskraft zugewiesen.
Ausweiskarte für die polnische Zwangsarbeiterin Maria S. - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 136, Band 1
Über die vorherrschenden Bedingungen klärt vor allem Jan S. auf. Er wechselte seine Arbeitsstelle zwischenzeitlich, beklagte sich jedoch nie über eine mangelnde Versorgung oder seine Unterbringung. Wie für Landarbeiter üblich, war er bei der Arbeitsstelle untergebracht und schlief in einem Zimmer über dem Stall, ausgestattet mit einem Bett. Außerdem bekam er, wie bei Landarbeitern üblich, dasselbe Essen wie die Familie und saß mit dieser - geltenden Vorschriften zuwider - an einem Tisch.
Ausweiskarte für die polnische Zwangsarbeiter Jan S. - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 136, Band 1
Jan S. Arbeitszeit betrug etwa 11 bis 12 Stunden, von 7:00 bis 19:00 Uhr. Seine Arbeit verrichtete er insbesondere auf dem Feld und im Stall. Jan S. gab an, keinen Lohn erhalten zu haben. Bei seiner Mutter ist von einem Lohn von 20 RM pro Monat auszugehen. Sein Vater erhielt mit 26,50 RM pro Monat noch etwas mehr.
Fazit
Auch in Harsewinkel wird deutlich, dass Zwangsarbeiter auf dem Land in der Regel eine besser zu ertragende Lebenssituation vorfanden. Auf den Höfen gab es im Gegensatz zu den Unternehmen genügend Verpflegung sowie eine Unterbringung in einem separaten Zimmer. Landarbeiter erging es also deutlich besser als den Lagerinternierten. Aus den Untersuchungen ging teilweise hervor, dass einige von ihnen sogar in das Familienleben eingebunden waren. Die Deutschen, denen die Arbeiter aus dem Lager begegneten, waren in der Regel geschult und regimetreu, wo hingegen viele Bauern von der strengen Einhaltung von geltenden Regeln absahen.
Download der Projektarbeit