Harsewinkeler Soldaten an der Front
von Lina Hinz und Daniela Tun
Der zweite Weltkrieg gilt als der größte und verlustreichste Krieg der Menschheitsgeschichte. Millionen Männer mussten in den Krieg ziehen, um für Volk und Vaterland zu kämpfen. Die Gründe dafür waren vor allem der Druck und Zwang durch das nationalsozialistische Regime. Auch die Menschen aus Harsewinkel sind vom Krieg nicht verschont geblieben. Für viele Familien änderte sich auch hier das Alltagsleben schlagartig. Viele Männer, darunter sowohl junge, unverheiratete als auch Familienväter, wurden einberufen, mussten ihre Familien verlassen und in den Krieg ziehen.
Zurück blieben die Familien, die nun auf sich allein gestellt waren und den Alltag meistern mussten, während sie sich fortan um das Wohl ihrer im Krieg befindlichen Angehörigen sorgten. Um mit der zurückgelassenen Familie in Kontakt zu bleiben, wurden häufig Feldpostbriefe verschickt. Aus diesen Feldpostbriefen werden die Gefühle und Gedanken der Soldaten ersichtlich. Dennoch gaben die Soldaten ihren Angehörigen nur einen sehr geringen Einblick in den Alltag an der Front. Das Bild des tapferen Soldaten, der bis zum bitteren Ende durchhielt und so seinem Leben durch den Soldatentod eine Vollendung gab, war durch die nationalsozialistische Propaganda weit verbreitet. Unseren Recherchen zufolge teilten die meisten Familien jedoch diese Ansicht nicht.
Exemplarisch für das bis heute lebendige Gedenken an Kriegsgefallene ist die Bronzetafel für die drei gefallenen Brüder Egon, Heinrich und Josef Möllenbrock auf dem Marienfelder Friedhof. - Foto: Daniel Brockpähler
Gefallene aus Harsewinkel, Greffen und Marienfeld
Trotz all dieser Umstände verloren die Familien jedoch nie die Hoffnung, dass der einberufene Sohn, Vater oder Bruder eines Tages wieder lebend aus dem Krieg nach Hause kehrte. Doch diese Hoffnungen wurden sehr oft zerstört und die Angehörigen erhielten meist durch einen Brief die schreckliche Nachricht, dass der Einberufene den Soldatentod auf dem Feld oder in der Kriegsgefangenschaft gestorben war. Heute ist es für uns nur schwer vorstellbar, wie die betroffenen Familien mit diesem Schmerz und der Trauer umgingen und es schafften, mit diesem Schicksal weiterzuleben. Einige der von uns Befragten haben uns ihre Erinnerungen darüber mitgeteilt, dass neben der Arbeit vorallem der Glaube oder auch die Gemeinschaft mit anderen Betroffenen half, dieses Schicksal zu ertragen. Auch die Hoffnung, dass noch andere Familienangehörige lebend aus dem Krieg heimkehren, gab ihnen Kraft. Die Trauer um die Gefallenen zeigt sich auch daran, dass bis heute Grabsteine und Grabkreuze auf den Friedhöfen in Harsewinkel an die Gefallenen erinnern.
Gedenkkreuz für Bernhard Bessmann auf dem Marienfelder Friedhof. - Foto: Daniel Brockpähler
Bis heute pflegen die Angehörigen Bernhard Bessmanns Andenken durch ein Gedenkkreuz auf dem Friedhof in Marienfeld.
Von den eingezogenen Soldaten aus dem Amt Harsewinkel kehrten über 400 nicht zurück. Harsewinkel hatte 247 Gefallene zu beklagen, Greffen 72 und Marienfeld 128 Gefallene, für die in den 1960er-Jahren Denkmale errichtet wurden.
Quelle: Liste der Gefallenen des 2. Weltkriegs aus Harsewinkel. Stadtarchiv Harsewinkel
Anhand des Sterbealters erkennt man, dass die meisten Soldaten noch sehr jung waren, als sie im Krieg starben. Auch fielen die meisten Soldaten im Krieg gegen die UdSSR und in den letzten acht Monaten des Krieges, wie sich anhand der folgenden Grafiken erkennen lässt.
Quelle: ebd.
Quelle: Eigene Darstellung nach ebd.
Totenzettel Harsewinkeler Gefallener
Als Totenzettel werden Gedenk- bzw. Gebetszettel für Verstorbene bezeichnet. Diese werden von der Familie des Verstorbenen an Bekannte, Nahestehende und Verwandte aus Anlass des Seelenamtes für den Verstorbenen verteilt. In erster Linie ist mit der Übergabe des Totenzettels die Bitte der Familie verbunden, für das Seelenheil des Verstorbenen zu beten. Des Weiteren ist der Totenzettel zur Erinnerung an den Verstorbenen gedacht.
Der Aufbau ist bei allen Totenzetteln ähnlich. Auffallend ist die Abbildung der Gefallenen in schwarz-weiß. Alle Abgebildeten tragen eine Uniform, haben eine würdevolle Körperhaltung und einen stolzen Gesichtsausdruck. Meist wird kurz die Biografie des Verstorbenen dargestellt. Der Schwerpunkt dieser liegt auf der Kriegsbeteiligung des Gefallenen. Sehr oft sind Gebete und Gedichte vorzufinden. Diese verherrlichten oft den „Heldentod“ des Gefallenen.
Totenzettel für Wenzel Viehmeyer. Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel. Sammlung Totenzettel Nr. 29
Hier wird der Gefallene wird als Held dargestellt. Er starb „für Führer, Volk und Vaterland“ – eine Formulierung, die auf mehreren Totenzetteln vorzufinden ist.
Wie zuvor erwähnt, ist auch die Bitte für das Seelenheil des Verstorbenen auf diesen Totenzetteln enthalten. Interessant ist, dass das Seelenheil dem Gefallenen aufgrund seiner Verdienste im Krieg zugesprochen wird. So ist auf dem Totenzettel des Obergefreiten Paul Vorjohann zu lesen: „O Gott und Herr, sei gnädig der Seele deines gefallenen Dieners und laß sie um der Verdienste willen der ewigen Freuden des Himmels zuteil werden.“
Totenzettel für Paul Vorjohann. – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel. Sammlung Totenzettel Nr. 44
Ebenso werden oftmals Bibelverse zitiert. Teilweise werden diese jedoch aus dem Zusammenhang gerissen und bekommen so eine vollkommen neue Bedeutung. Der Gefreite Joseph Pelzhof soll beispielsweise „den guten Kampf gekämpft“ haben. Diese berühmte Passage aus dem 2. Timotheusbrief gibt dem Tod des Gefallenen eine neue Bedeutung. Er hat also genauso wie der Apostel Paulus den „guten Kampf“ gekämpft. Der Krieg wird, wie von Gott gewollt, als legitim dargestellt.
Totenzettel für Josef Pelzhof –Außen- und Innenseiten – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel. Sammlung Totenzettel Nr. 31
Genauso wie der Apostel Paulus soll dieser Soldat den guten Kampf gekämpft haben. Die Familie bittet den Herrn ebenfalls um Erbarmen für die Seele des Gefallenen.
Ob die Totenzettel auf diese Art und Weise formuliert wurden, um den Tod des Gefallenen als heldenhaft darzustellen oder weil es zu dieser Zeit einfach gang und gäbe war, kann man heute nicht immer objektiv beurteilen.
Harsewinkeler Soldaten an der Front am Beispiel von Bernhard Bessmann
Bernhard Bessmann wurde am 22. April 1925 geboren und im Alter von 17 Jahren einberufen. Ein Antrag seines Vater auf eine vorläufige Zurückstellung vom Wehrdienst scheiterte, Bernhard Bessmann musste nach dem Arbeitsdienst sofort seinen Wehr- und Kriegesdienst antreten.
Bernhard Bessman. - Foto: Privatbesitz
Die Erlebnisse, Erfahrungen, Ängste und Sorgen des jungen Soldaten werden in den Feldpostbriefen an seine Eltern und Geschwister deutlich.
Nach seiner Grundausbildung kam Bernhard Bessmann nach Frankreich und war dort bis zum Herbst 1943 unter anderem am Ärmelkanal im Einsatz. In seinen Briefen berichtete er von kaltem Wetter und von den frostigen Stunden in der Kälte ganz ohne Pullover und Mantel. Bei diesem Wetter mussten die Soldaten Wache schieben. Im Dezember desselben Jahres war er wieder zurück in Köln-Wahn. In den Feldpostbriefen schrieb er, dass es ihm im Heimatland besser gefalle. Er berichtete von einer großen Kaserne und sauberen Zimmern. Der Dienst ging von 6.00 Uhr morgens bis 21.00 Uhr abends. Trotzdem bat er seine Eltern, ihn mit allerlei Gebrauchsgütern zu versorgen.
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Ausschnitt aus dem Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 5. Dezember 1943. - Privatbesitz
Die Stelle, an der der vorgelesene Text beginnt, ist mit einem roten Pfeil markiert.
Transkription: Ausschnitt aus dem Feldpostbrief vom 5. Dezember 1943
Ausschnitt aus dem Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 5. Dezember 1943. - Sprecher: David Fedoseew
Schon vorher hatte er seine Eltern immer wieder um Tabak gebeten. Ob er versuchte, mit den Zigaretten seine Angst zu vertreiben sei dahingestellt. In seinem Weihnachtsbrief schrieb er von der Hoffnung auf das Ende des Krieges. Es war das zweite Mal, dass er Weihnachten nicht zu Hause verbrachte. Der Wunsch und die Hoffnung auf einen Urlaub in der Heimat durchziehen seine Briefe, die er vom Januar 1944 an wieder aus Frankreich schrieb. Urlaub wurde Bernhard Bessmann jedoch nicht gewährt; denn den konnte nur bekommen, wer schon im Fronteinsatz gewesen war.
In seinen Briefen vom 22. April und 6. Mai 1944 wird deutlich, dass die Wehrmacht in Frankreich zunehmend von schweren Luftangriffen der Briten und Amerikaner bedroht war. In seinen Briefen zeigt sich jetzt stärker seine Religiosität und die Bitte an die Eltern, für ihn und sein Leben zu beten.
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Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 22. April 1944. - Privatbesitz
Die roten Markierungen sind mit einem Textmarker aufgetragen. Sie können daher nicht vor ca. 1970 aufgetragen worden sein.
Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 22. April 1944. - Sprecher: David Fedoseew
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Felpostbrief Bernhard Bessmanns vom 6. M ai 1944. - Privatbesitz
Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 6. Mai 1944. - Sprecher: David Fedoseew
Nach der Landung der Alliierten in der Normandie berichtete er seinen Eltern, dass seine Einheit nun auch an die Front verlegt werden solle - in die Gegend von Caen. Erstmals scheint ihm ein Einsatz Sorgen zu machen, auch weil Wenzel Viehmeyer kurz zuvor in der Gegend gefallen war. Dennoch hoffte er weiter auf den Schutz Gottes.
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Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 13. August 1944. - Privatbesitz
Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 13. August 1944. - Sprecher: David Fedoseew
Die letzten Briefe schrieb er am 12. Oktober 1944 aus Dürboslar im Landkreis Düren. Bis dorthin waren die Streitkräfte der Alliierten bereits vorgerückt. Er erwähnt, dass das Essen sehr gut sei und er vollkommen zufrieden wäre, wenn nicht das ständige Schießen wäre.
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Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 12. Oktober 1944. - Privatbesitz
Feldpostbrief Bernhard Bessmanns vom 12. Oktober 1944. - Sprecher: David Fedoseew
Einen Monat nach diesem Brief, am 18. November 1944, wurde der Gefreite Bernhard Bessmann durch einen Granatsplitter schwer verwundet und auf einen Verbandplatz eingeliefert. Die Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen. Zwei Tage später erlag er seinen Verletzungen und starb. Die Eltern und Schwestern wurden anschließend vom verantwortlichen Stabsarzt informiert. Bernhard Bessmann starb Im Alter von nur 19 Jahren.
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Am 22. November 1944 stellte der Stabsarzt und Kompaniechef für die Angehörigen von Bernhard Bessmann eine Liste mit seinen Habseligkeiten zusammen. - Privatbesitz
In seinen Briefen ist seine Entwicklung vom Jugendlichen zum Erwachsenen sehr gut nachvollziehbar. In seinen ersten Briefen sprach er größtenteils nur von Päckchen und Paketen, welche ihm seine Familie zuschicken soll. Zum Ende hin beschäftigte er sich anscheinend sehr viel mit dem Tod und seinem christlichen Glauben. Seine Briefe wirken überlegt und nachdenklich. Es wird deutlich, wie schrecklich der Krieg und das Töten für ihn waren. Obwohl er sich mit seinem Schicksal schlussendlich abfand, hatte er immer noch die Sehnsucht nach Familie und Zuhause. Doch sahen ihn seine Eltern und Geschwister nie wieder.
Download der Projektarbeit