Der Wiederbeginn des politischen Lebens 1945-1948
von Jennifer Kopietz und Kristina Löwen
Nach dem Potsdamer Abkommen wurde Harsewinkel der britischen Besatzungszone zugeordnet. Die Verwaltung stand unter der Aufsicht des Kreis-Resident-Officers, dem örtlichen Vertreter der britischen Militärregierung. Am 5. April wurde August Claas von der Militärregierung zum ersten Amtsbürgermeister ernannt.
August Claas (1887 – 1982) – Foto: Der Knoter Nr. 4/1957
Doch schon Ende August wurde er aufgrund des Entnazifizierungsverfahrens von der Militärregierung abgesetzt und verhaftet. Daraufhin wurde Heinz Kollas am 13. September zu seinem Nachfolger ernannt.
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Meldekarte von Heinz Kollas. Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel. Bestand Meldeamt, Meldekartei 1
Der 1901 geborene Jurist war im Landwirtschaftsamt des Oberpräsidiums in Münster tätig gewesen und hatte Erfahrungen in der Kommunalverwaltung in Everswinkel gesammelt. Als ihn die britische Militärregierung im September 1945 zum hauptamtlichen Amtsbürgermeister ernannte, zog er mit seiner Familie nach Harsewinkel. Seit dem 1. Januar 1946 war er hauptamtlicher Amtsdirektor. Mit seinem beruflichen Profil entsprach er den Vorstellungen der Briten von einer fachlichen Führung der Verwaltung. In Harsewinkel zeigten sich aber bald Differenzen über seine Amtsführung mit der Amtsvertretung und dem Stadtrat. Diese führten zu seiner Abwahl am 31. Dezember 1948. Das ungewöhnliche Datum für eine Sitzung war gewählt worden, um die Teilnahme des Kreis-Resident-Officers zu verhindern.
Erste politische Anfänge
Da die Briten eine Neuordnung von unten nach oben planten, sollte Heinz Kollas im November und im Dezember 1945 Gemeinderäte vorschlagen, die dann von der Militärregierung bestätigt werden mussten. Diese Beiräte sollten die Verwaltung unterstützen und den Harsewinkelern die politische Beteiligung ermöglichen. Dabei wurden Personen aus allen sozialen Schichten, darunter erstmals auch Frauen, in politischen Entscheidungen mit einbezogen und in die Verwaltung eingeführt. Durch diesen Neuaufbau und die Integration der Bürger erhofften sich die Briten gute Voraussetzungen für den Neuaufbau eines politischen Systems und die ersten Wahlen 1946.
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Protokoll der Sitzung des Gemeinderates von Marienfeld vom 28. Dezember 1945. – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Bestand Protokolle, Nr.38
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Transkription des Protokolls der Sitzung des Gemeinderates von Marienfeld vom 28. Dezember 1945. – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Bestand Protokolle, Nr.38
Nach und nach lebten alle Parteien wieder auf und wurden neue gegründet. Neben dem in Harsewinkel in der Weimarer Zeit stark vertretenen Zentrum fanden zusätzlich noch die CDU und die SPD zusammen. Allerdings wirkten trotz der Entnazifizierung auch in Harsewinkel ehemalige NSDAP-Mitglieder weiterhin in der Politik mit. Das lag unteranderem an dem Mangel an qualifizierten Personen, die für die Verwaltung benötigt wurden.
Wahlen 1946 und 1948
Die ersten Wahlen fanden am 15. September 1946 statt. In Harsewinkel traten das Zentrum, die CDU und die SPD an. Im Vorfeld der Wahlen forderte Heinrich Heinz (SPD) den Ausschluss mehrerer aktiver Nationalsozialisten vom Wahlrecht.
Heinrich Heinz (1904 – 1974) – Foto: Stadtarchiv Harsewinkel
Der in Essen geborene Diplomingenieur Heinrich Heinz zog im Sommer 1945 aus Berlin nach Harsewinkel, wo seine Frau bereits seit dem Frühjahr wohnte. Hier gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der SPD, für die er dem Stadtrat von 1948 bis 1956 angehörte. Ebenso war er Mitglied der Amtsvertretung.
Dagegen konnte von den Beschuldigten Einspruch eingereicht werden. Nachdem der Sachverhalt geklärt worden war, wurde entschieden, ob das Wahlrecht erteilt wurde oder nicht. In jedem Einzelfall wurde die Zulassung oder Nichtzulassung zur Wahl von einer Kommission ausführlich begründet.
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Entscheidung des Wahlprüfers über die Einsprüche von Heinrich Heinz vom 30. Juli 1046 - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 63, Band3
Namen von Personen, die noch keine zehn Jahre verstorben sind oder deren Sterbedatum nicht ermittelt werden konnte, sind geschwärzt.
Das Ergebnis der Wahl des Stadtrates fiel sehr knapp aus. Das Zentrum gewann die Wahl mit 40%. Die CDU erhielt 38,5% und die SPD nur 21,1% der Stimmen. Genau umgekehrt sahen die Ergebnisse der Wahl für die Amtsvertretung aus. Die CDU gewann die Wahl knapp mit 40,7%. Das Zentrum erreichte 37,2% und die SPD erhielt 22% der Stimmen.
Ergebnisse der Wahlen zur Amtsvertretung und zum Stadtrat Harsewinkel 1946
Quelle: Eckhard Möller: Vom Kriegsende zur kommunalen Neugliederung. In "....dann machen wir es allein." Beiträge zur Geschichte der Stadt Harsewinkel. Harsewinkel 1996, S. 502/503
Nach dieser Wahl wurde Anton Buchmann zum ehrenamtlichen Bürgermeister der Stadt Harsewinkel gewählt. Der Bäckermeister Anton Buchmann saß schon im von der britischen Militärregierung ernannten Harsewinkler Stadtrat. Von 1946 bis 1961 gehörte er als Ratsherr der Zentrumspartei dem Harsewinkeler Stadtrat an. Von 1946 bis 1950 und noch einmal von 1952 bis 1956 war er ehrenamtlicher Bürgermeister von Harsewinkel.
Anton Buchmann (1896 – 1980) – Foto: Stadtarchiv Harsewinkel
Am 17. Oktober 1948 folgten die nächsten Wahlen, weil man schon nach zwei Jahren eine Diskontinuität der Arbeit der Gemeinderäte befürchtete. Es traten wieder das Zentrum, die SPD und die CDU an. Neu war jedoch, dass diesmal auch Wilhelm Wegner als Unabhängiger an der Wahl teilnahm. Für jeden Wahlbezirk reichten die Parteien Vorschläge mit Unterschriften von Interessenten ein.
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Wahlvorschlag der CDU für die Wahl der Amtsvertretung 1948. – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Bestand CN, Nr.237
Das Dokument zeigt einen Wahlvorschlagsbogen der CDU für den Wahlbezirk I mit den Unterstützerunterschriften.
Bei der Wahl zum Stadtrat gewann die Zentrumspartei mit 43,9%, es folgten die SPD mit 26,2%, die CDU mit 21,9% und am Schluss als Unabhängiger Wilhelm Wegner mit 8,0%. Bei der Wahl der Amtsvertretung erlangte das Zentrum 46,3 % der Stimmen, danach folgte die SPD mit 23,1%, dann die CDU mit 19,9% und zum Schluss Wilhelm Wegner mit 10,7%, der wie bei der Stadtratswahl nur in einem Bezirk kandidiert hatte.
Ergebnisse der Wahlen zur Amtsvertretung und zum Stadtrat Harsewinkel 1948
Quelle: Eckhard Möller: Vom Kriegsende zur kommunalen Neugliederung. In "....dann machen wir es allein." Beiträge zur Geschichte der Stadt Harsewinkel. Harsewinkel 1996, S. 505
Ergebnisse der Wahlen zur Amtsvertretung 1946 und 1948
Quelle: Eckhard Möller: ebd.
Ergebnisse der Wahlen zur Stadtrat Harsewinkel 1946 und 1948
Quelle: Eckhard Möller: ebd.
Das Ergebnis von Wilhelm Wegner war sehr erstaunlich, da er in seinem Wahlbezirk die absolute Mehrheit erreichte. Von ihm gibt es ein Flugblatt, in dem er seine Forderungen darlegt.
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Flugblatt des unabhängigen Kandidaten Wilhelm Wegner für die Wahl zur Amtsvertretung und zum Harsewinkeler Stadtrat 1948. – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Deposita: Einzelstücke, Nr. 10
Das Flugblatt ließ Wilhelm Wegner offenbar als Postwurfsendung an alle Haushalte verteilen. So kritisiert er unter anderem zu hohe städtische Ausgaben und fordert mehr Flächen für Industriebetriebe.
Die Zentrumspartei war in Harsewinkel, wie zur Zeit der Weimarer Republik, sehr erfolgreich. Sie vertrat wie die SPD die Arbeiterschaft und die gewerbliche Bevölkerung. Die CDU war dagegen mehr in der Landwirtschaft verankert. Der Einfluss von CDU und Zentrum lässt erkennen, dass der Harsewinkeler Bevölkerung konservative und christliche Werte in der Weimarer Republik und in der Nachkriegszeit wichtig waren.
Fazit
Nach dem Kriegsende konnte man viele Parallelen zu der Weimarer Republik erkennen. Die Zentrumspartei erreichte große Zustimmung, genau wie in der Weimarer Republik. Daran ist zu erkennen, dass christliche und konservative Werte nach wie vor eine wichtige Rolle spielten.
Dennoch mussten auch einige wenige Nationalsozialisten im Amt eingesetzt werden, da es an qualifizierten Personen mangelte, die sich in der Verwaltung auskannten.
Zusätzlich brachten die Briten viel Neues in die Verwaltung Harsewinkels. Unter anderem waren erstmalig auch Frauen in der Politik tätig. Außerdem schafften die Briten eine Demokratie mit einem politischen Wiederaufbau von unten, indem sie der Bevölkerung mit Wahlen und Gemeindebeiräten Möglichkeiten zur Beteiligung gaben.
Download der Projektarbeit