von Alina Feldhaus und Caroline Hanemann
In der Zeit um Ostern 1945 stieg die Zahl der Luftangriffe in ganz Deutschland weiter an, was in vielen Städten zu Zerstörunen führteng. Harsewinkel blieb jedoch weitestgehend verschont, da es kein wichtiges Ziel für die Alliierten war. Trotzdem ließen die kriegsbedingten Zustände in der Umgebung, wie der Mangel an Nahrungsmitteln und die Sorgen vieler Menschen um die eigene Zukunft, einen Großteil der Bevölkerung auf ein baldiges Ende des 2. Weltkrieges hoffen.
Kriegsende und die Ankunft der amerikanischen Soldaten in Harsewinkel
Am 31. März 1945 waren die amerikanischen Truppen nicht mehr weit entfernt von Harsewinkel, weshalb die SS die Alarmstufe 1 bekanntgab und am Morgen Männer holte, um eine Panzersperre zu errichten. Die Nationalsozialisten wollten, dass die Stadt bis zuletzt verteidigt wird. Am nächsten Tag hatte die SS die Stadt jedoch um 8 Uhr fluchtartig verlassen, da sie eine Einkesselung durch die Amerikaner fürchtete. Ein paar Stunden später konnten dann schon die ersten Panzer beobachtet werden, die ihre Maschinengewehre zur Stadtmitte gerichtet hatten. Die Amerikaner hatten erfahren, dass in Harsewinkel Widerstand geleistet werden sollte, weshalb sie mit Vorsicht und Misstrauen vordrangen. Dieser Verdacht bestätigte sich später, denn es kam zu einem Schusswechsel mit sechs zurückgebliebenen SS-Männern, von denen vier getötet und zwei festgenommen wurden.
Dieser abgeschossene Panzer stand noch lange Zeit nach der Ankunft der amerikanischen Soldaten vor dem Hause Herbrink. Das Kanonenrohr wurde von Schrotthändlern abgetrennt. Vor dem Panzer sieht man Heiner Herbrink, der Georg Terlutter das Foto zur Verfügung gestellt hat. Foto: Privatbesitz
Interview mit Konrad Volmer vom 21.01.2016
Konrad Volmer berichtet, wie er den Einzug der ersten amerikanischen Truppen, 1945 erst 13 Jahre alt, in Harsewinkel erlebt hat. (2:42-min bis 6:57 min)
Das Interview wurde von Alina Feldhaus und Caroline Hanemann geführt.
Erste Maßnahmen der amerikanischen und britischen Truppen
Nach dem Ende des Krieges war die Verwaltung von Harsewinkel Befehlsempfänger zunächst der amerikanischen und seit Sommer 1945 der britischen Militärregierung. Es wurde indirekt regiert, sodass Kommandanten die Militärregierung vor Ort vertraten. Der übergeordnete Vertreter der britischen Behörden für Harsewinkel war der Kreis-Resident-Officer mit Sitz in Warendorf.
Sir Fiennes William Strang-Steel, 2nd Baronet of Philiphaugh (1912 - 1992) – Foto: Stadtarchiv Harsewinkel
F. W. Strang-Steel nahm als Offizier am 2. Weltkrieg teil und wurde im Rang eines Majors 1946 zum Kreis-Resident-Officer in Warendorf ernannt. Damit war er der höchste örtliche Vertreter der britischen Militärregierung in Deutschland.
Zu den ersten und wichtigsten Maßnahmen, die die Besatzer einführten, zählten die Festnahme bekannter NSDAP-Funktionäre sowie die Beschlagnahmung des Vermögens der Partei und ihrer Funktionäre. Außerdem führten die ersten Truppen in Harsewinkel die sogenannten Sperrzeiten ein, bei denen die Bürger das Haus nicht verlassen durften. In Ausnahmefällen wurden für Personen, die aus beruflichen Gründen unterwegs sein mussten, Passierscheine von der Amtsverwaltung herausgegeben. Diese Genehmigung musste stets mit sich geführt werden und wurde auch kontrolliert. Bei unerlaubtem Aufenthalt auf den Straßen während der Sperrzeiten drohte eine Festnahme oder der Schusswaffengebrauch.
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Erlaubnis für Dr. Hubert Kohle, sich außerhalb der Sperrzeiten auf den Straßen aufzuhalten. Ausgestellt am 9. April 1945 von Dean G. Lehmberg, 1. Leutnant CE, Vertreter der Militärregierung. - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 13, Band 1
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Erlaubnis für die Hebamme Johanna Wiwianka, sich außerhalb der Sperrzeiten auf den Straßen aufzuhalten. Ohne Datum und Unterschrift. - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 13, Band 1
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Erlaubnisschein für acht Polizisten, sich außerhalb der Sperrzeiten auf den Straßen aufzuhalten. Ausgestellt von Willam W. Vasey, 1. Leutnant der Kavallerie, Vertreter der Amerikanischen Militärregierung - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 13, Band 1
Interview mit Konrad Volmer vom 21.01.2016. (14:53 min bis 17:20 min)
Konrad Volmer berichtet über seine persönlichen Erfahrungen mit den Soldaten, nachdem er eine Passiergenehmigung erhalten hat, um an einer Messe als Küster teilzunehmen.
Das Interview wurde von Alina Feldhaus und Caroline Hanemann geführt.
Des Weiteren haben die amerikanischen Soldaten Häuser beschlagnahmt, um nachrückenden Einheiten Unterkunftsräume zu bieten. Die Beschlagnahme der Häuser hatte für die Harsewinkeler zur Folge, dass sie teilweise nur Tage, manchmal aber auch über Monate, bei Verwandten, Freunden oder auch Fremden einziehen mussten. Auch Gaststätten wurden von den Besatzern zum Teil für mehrere Jahre in Beschlag genommen.
Gaststätte Wilhalm in den ersten Jahren nach Kriegsende – Foto: Fotoarchiv Jäger (Stadtarchiv Harsewinkel) Von 5. April 1945 bis 1953 stand die traditionsreiche Gaststätte Wilhalm der Harsewinkeler Öffentlichkeit nicht zur Verfügung. Sie war vom amerikanischen Militär beschlagnahmt worden und diente nach der Ankunft der britischen Besatzungstruppen diesen als Offiziersmesse.
Die Bevölkerung war zudem aktiv durch Abgaben von Lebensmitteln, Kleidung und anderen Erzeugnissen an der Verpflegung der Soldaten, befreiten Kriegsgefangenen sowie Zwangsarbeitern beteiligt. Das führte zu einem ausgeprägten Gefühl der Ungerechtigkeit der Bevölkerung. Andererseits brachten die amerikanischen Soldaten heimische Produkte, wie Bonbons und Schokolade mit, die sie manchmal auch an die Kinder verteilt haben.
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Befehl zur Abgabe aller Waffen. Ohne Datum (April 1945). - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 13, Band 1
Von der Abgabe der Waffen waren auch die Jäger und die Schützenvereine betroffen.
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Verfügung des Amtsbürgermeisters an die Molkerei Harsewinkel vom 6. Juni 1945 wegen der Abgabe von Produkten an Truppenteile - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte C 13, Band 1
Interview mit Konrad Volmer vom 21.01.2016
Konrad Volmer berichtet über die Abgaben, die seine Familie an die Truppen leisten musste. (17:31 min bis 18:25 min)
Das Interview wurde von Alina Feldhaus und Caroline Hanemann geführt.
No - Fraternisation?
Mit dem Beginn der dauerhaften britischen Besatzung nahmen die Kontakte zwischen Harsewinkelern und den britischen Soldaten zu. Eine Barriere für den persönlichen Umgang war, dass nur wenige Harsewinkeler englisch sprachen und umgekehrt auch nur wenige britische Soldaten Deutschkenntnisse vorweisen konnten.
Dennoch stellten britische Soldaten Frauen aus Harsewinkel in der Verwaltung sowie in der Küche oder als Dolmetscherinnen ein. Außerdem entstanden weitere Kontakte durch die gemeinsame Arbeit auf dem Flughafen in Gütersloh sowie durch die offiziellen Kontakte, wie z.B. im Rahmen von Einladungen zwischen den Gemeinden und der Royal Air Force.
Interview mit Konrad Volmer vom 21.01.2016
Konrad Volmer berichtet über die Freundschaft zwischen einem Deutschen und einem britischen Soldaten, die durch die Zusammenarbeit auf dem Flughafen der Royal Air Force in Güterloh entstanden ist. (30:18 min bis 30:46 min)
Das Interview wurde von Alina Feldhaus und Caroline Hanemann geführt.
Her Royal Highness Princess Anne in Harsewinkel. - Foto: Privatbesitz
Anlässlich eines Besuchs in Harsewinkel trägt sich HRH Princess Anne in das Goldene Buch der Stadt Harsewinkel ein, das Bürgermeister und Stadtdirektor mit zum Flughafen Gütersloh genommen haben. Links: Bürgermeister Dr. Hans Strake mit Gemahlin, rechts: Stadtdirektor Bernhard Kemner mit Gemahlin. Der Name des britischen Offiziers ist unbekannt.
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Schreiben von Group Captain P. Collins an Stadtdirektor Bernhard Kemner. Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte D 123
Group Captain P. Collins wendet sich wegen eines Flugtages der RAF Gütersloh, der am 6. Juli 1975 stattfand, an Herrn Kemner. Collins bittet unter anderem um die MIthilfe der Stadt Harsewinkel bei der Planung.
Britische Familien luden auch in die Gaststätte "Waldschlößchen" in Marienfeld ein, um dort über die Freundschaft, aber ebenso über Probleme zu sprechen. Außerdem wurden die britischen Familien zum Winterball oder zum Heimat- und Schützenfest eingeladen. Durch gemeinsame Fußballspiele zwischen Mannschaften der Realschule Harsewinkel und der King's School Gütersloh konnten auch die Kinder beider Nationen enge Kontakte knüpfen.
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Kontakt mit Engländern.
Zeitungsartikel aus der Zeitung ‚Die Glocke‘ vom 6. August 1974. – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte D 123
Jedoch gab es von Beginn an auch Konflikte. Im September 1945 gab es eine der ersten Streitigkeiten, bei der weibliche Beschäftigte der Stadtverwaltung zu einer Feier in die Unteroffiziersmesse eingeladen wurden. Einige Männer und Jugendliche sahen die Briten als Rivalen an und stürmten die Veranstaltung.
Interview mit Konrad Volmer vom 21.01.2016
Konrad Volmer berichtet von der Tanzveranstaltung im Gasthaus Wilhalm, bei der die britischen Soldaten Frauen aus Harsewinkel eingeladen hatten. Die Harsewinkeler Männer sahen die Soldaten als Rivalen an und stürmten die Veranstaltung. Es kam zu Verhaftungen. (18:52 min bis 19:49 min)
Das Interview wurde von Alina Feldhaus und Caroline Hanemann geführt.
Ein Streitpunkt über viele Jahre: Fluglärm
Auch der Fluglärm sorgte für weiteres Konfliktpotential. Insbesondere Bürger aus Marienfeld litten unter der Flugaktivität, die auch in den Abendstunden stattfand. Schließlich folgte ein Gespräch mit Group Captain Howe, und es konnte eine gemeinsame Lösung gefunden werden.
Group Captain John Howe bei seinem Besuch im Rathaus Harsewinkel. – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte D 123
Der Kommandeur der auf dem Flughafen Gütersloh stationierten Einheit überreicht Bürgermeister Dr. Hans Strake das Wappen seinen Squadrons; links: stellvertretender Bürgermeister Julius Petri.
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Am 3. Juli 1973 wandte sich Ratsmitglied Jürgen Cassens (CDU) aus Marienfeld wegen des Fluglärms an Bürgermeister Dr. Hans Strake. – Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte D 132
Trotz einiger Konflikte scheint Harsewinkel eine neue Heimat für viele Soldaten geworden zu sein, denn in den 1970er-Jahren wollten viele nach ihrer Dienstzeit nicht wieder in die Heimat zurückkehren. Dies lag zum einen an der schlechten Wirtschaftslage Großbritanniens, aber auch daran, dass viele Familien nicht nur Freunde und Bekannte, sondern außerdem auch Arbeit gefunden haben.
Freedom of the Town: Zeichen der Freundschaft oder Militärschau?
Die Veranstaltung „Freedom of the Town“ fand von 1976 bis 1990 jährlich in Harsewinkel statt. Dabei handelte es sich um einen Marsch der britischen Soldaten mit Waffen, Musik und Fahnen durch die Stadt. Das war eine britische Sitte und sollte die Stadt Harsewinkel symbolisch unter den Schutz der Garnison stellen.
„Freedom of the Town” stieß allerdings teilweise auch auf Unverständnis innerhalb der Bevölkerung. Einige betrachteten die Veranstaltung als eine Machtdemonstration der britischen Soldaten und somit weniger als Veranstaltung zur Völkerverständigung. In diesem Zusammenhang stieß vor allem das Auftreten der Soldaten mit Waffen und in Uniform auf Unverständnis.
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Leserbrief von Markus Beuse wegen der Militärparade ,Freedom of the Town´vom 28. Oktober 1983, erschienen in der Tageszeitung ,Neue Westfälische´. - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte D 132
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Leserbrief von Frido Jacobs wegen der Militärparade ,Freedom of the Town´vom 29. Oktober 1983, erschienen in der Tageszeitung ,Westfalen-Blatt´. - Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte D 132
Interview mit Konrad Volmer vom 21.01.2016
Konrad Volmer berichtet über die Militärparade ,Freedom of the Town`, die auf Initiative des Bürgermeisters Dr. Hans Strake (1969-1979) entstand. Dies war ein jährlicher Marsch der britischen Soldaten mit Waffen und in Uniform durch die Stadt, die damit symbolisch unter den Schutz der Garnison gestellt wurde. (41:21 min bis 43:14 min )
Das Interview wurde von Alina Feldhaus und Caroline Hanemann geführt.
Der deutsch-britische Club Harsewinkel
Der deutsch-britische Club wurde am 1. November 1977 gegründet und sollte die Kontakte und Freundschaften nochmals stärken. Die Treffen des Vereins fanden ein- oder zweimal monatlich in der Gaststätte "Waldhof" statt. Es wurde viel geredet, gespielt und Feste wurden gemeinsam gefeiert. Des Weiteren wurden gemeinsame Ausflüge innerhalb Deutschlands oder nach Großbritannien organisiert.
Durch den Abzug der britischen Truppen vom Flughafen verlassen jedoch immer mehr Soldaten, Familien und Mitglieder den Deutsch-Britischen Club, der dadurch zum Auslaufmodell geworden ist.
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Völkerfreundschaft fortführen. Zeitungsartikel aus der Zeitung ,Westfalen-Blatt’ vom 22. November 1990. Quelle: Stadtarchiv Harsewinkel, Akte D 132
Fazit
Abschließend lässt sich über die Beziehungen der Briten und Deutschen in und nach der Besatzungszeit sagen, dass diese sich trotz anfänglicher Distanz durch immer wieder stattfindende Annäherungsversuche verbessert haben. Dafür waren hauptsächlich engagierte Persönlichkeiten wie die jeweiligen Group Captains verantwortlich, die sich stets kooperativ und hilfsbereit verhielten und den Willen hatten, die Nationen einander näherzubringen. Durch Veranstaltungen wie Freedom of the Town und den Deutsch-Britischen Club konnte dieser Willen bestärkt werden.
Schlussendlich ist Harsewinkel für viele Soldaten und ihre Familien zur Heimat geworden und man kann mit Sicherheit sagen, dass jeder Bewohner Harsewinkels und der Umgebung die Möglichkeit hatte, sich mit der jeweils anderen Kultur auseinanderzusetzen und sich mit den Menschen anzufreunden.